THOMAS ANSCHÜTZ

2001, anderthalb Monate bevor in New York die Zwillingstürme einstürzten, unternahm ich eine Wanderung, die in Sevilla begann und gelben Pfeilen folgte, die mich nach Santiago de Compostella führten - der Ort, an dem sich angeblich das Grab des Apostels Jakobus befindet.

 

Für die Dauer von fünfeinhalb Wochen war ich Jakobspilger. Ich hatte nie zuvor eine solche Strecke versucht, zu bewältigen und die Herausvorderung war gross, mich auf dieses Abenteuer einzulassen und allein, im Monat August, mich auf eine Reise zu begeben, vor der jeder abrät, wenn es heisst, vom Süden Spaniens 736,5 km in den Norden des Landes zu wandern.

 

Die Anregung für diese Unternehmung erhielt ich zwei Jahre zuvor beim Besuch des Klosters in Saint-Guilhem-le-Désert in Frankreich. Teile des Klosters wurden Ende des 19.Jahrhunderts mit dem Geld von John D. Rockefeller demontiert und im New Yorker Museum „The Cloisters“ wieder aufgebaut. Der fehlende Teil des Klosters stellt einen grossen Verlust für die Anlage dar und ist noch heute schmerzhaft unsichtbar. Zwei Jahre später sollte in New York ein Teil des Stadtbilds für immer verschwinden - in diesem Fall jedoch aus entgegengesetzten Gründen.

 

Im hinteren Teil des mittelalterischen Dorfes befindet sich ein Talkessel, der „le bout du monde“ genannt wird, das „Ende der Welt“. Da hindurch, ein Strassenschild mit der Muschel weist darauf hin, führt der „Camino Mozárabe“, wie man ihn in Spanien nennt - der Pilgerweg der ersten Christen, die nach Vertreibung der Muslime, seit dem 11. Jahrhundert dieser alten römischen Heerstrasse, der „Via de la Plata“ folgen, um nach Santiago de Compostella zu gelangen.

 

2001 war ich nun auf diesem Weg. Von Beginn an, war dieses eine Reise der Widersprüche und Umkehrungen, die allgegenwärtige Mischung aus Christentum und Islam, von Süden und Norden,

heiss und kalt, süss und bitter. Schon am ersten Tag, in dem Ort Santiponce, einer ehemals römischen Siedlung verdienter Veteranen, kam ich an einer Garage vorbei, deren beiden Pfosten mit je eine Hälfe einer, so vermute ich, römischen Amphore geschmückt war. Der Inhalt der Gefässe war offensichtlich mit Beton gefüllt worden und Zeit und Wetter hatten die äussere, tönerne Schicht abbröckeln lassen, so dass nur noch der Abdruck des Inhalts, der Beton sichtbar war. Dieses zunächst nicht begreifend, machte ich dennoch zwei Fotos dieser interessanten Objekte. Erst sehr viel später, nach der Entwicklung des Films (Negativ) und den ersten Probeprints (Positiv) erkannte ich, dass der Beton, der nunmehr das materialisierte was vorher die Luft in der jeweiligen Amphore darstellte, deutliche Spuren menschlicher Hände, beziehungsweise, Handrücken abgegossen, abgebildet hatte. Hier waren der Handrücken des römische Töpfers zu sehen, der im Innern der Amphore den noch feuchten Ton glattgeschlagen hatten, bevor er im Brand erstarrte und erst durch das Positiv des Betons wieder sichtbar wurde.

 

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