THOMAS ANSCHÜTZ

Dr. Enno Kaufhold

Thomas Anschütz - Magier des Schwarz und Weiss, Photonews 1995

 

 

Individuen machen Kunst, egal,ob sie Pinsel oder Kameras oder andere technische Mittel für ihre Arbeit nutzen. Wenn das noch einer Bekräftigung bedürfte, so ließe sich die allein mit dem Verweis auf Thomas Anschütz abtun.

 

Malpinsel und Kamera gehören seit annähernd zwei Jahrzehnten zu seinen bildnerischen Werkzeugen, zwar mit wechselnden Präferenzen, jedoch untrennbar mit seiner Person und seinem künstlerischen Ausdruckswillen verbunden, und ohne daß sich ein Qualitätsgefälle im Vergleich der Medien erkennen läßt. Blickt man auf seine Entwicklung als Maler, die mit realistischen Bildern während seiner Akademieausbildung in Kassel und dann bei Rudolf Hausner an der Hochschule fürbildende Künste in Hamburg begann und die ihn danach zu abstrakten BildweIten wechseln ließ, so finden sich die abstrahierenden Formen in seinen Kamerabildern viel früher als in seiner Malerei; und auch sein inneres Thema läßt sich in den fotografischen Bildern ausgeprägter und kontinuierlicher verfolgen als in der experimentell breiter angelegten Malerei.

 

Thomas Anschütz veröffentlichte seine ersten fotografischen Bilder Ende der 70er Jahre, als sich in Deutschland eine explizite Kunstfotografie neu formierte. Äußere Zeichen dafür waren die Gründungen der Zeitschriften FOTOGRAFIE. Zeitschrift Internationaler Fofokunst“ von Wolfgang Schulz, Andreas Müller Pohles “European Pholography"

und Joachim Schmids „Photokritik“.

 

Zugleich machte der von Klaus Honnef vom Autorenfilm übernommene "Autorenfotograf"

von sich Reden. Im Affront gegen die vorherrschenden journalistischen Bilder, Karl Pawek hatte gerade seine vierte Weltausstellung der Fotografie auf Tournee gebracht, exponierten sich die Künstlerfotografen mit programmatischen Äußerungen als Dokumentaristen, Konzeptualisten und Visualisten. Von einem aufkommenden Fotografie-Markt befördert, gewann der Fine-Print wieder Verbreitung.

 

Thomas Anschütz gehörte zu den Exponenten dieser Avantgarde. Seine Bilder zeichneten sich durch formale Reduktionen auf geometrisch einfach strukturierte Gestaltungen aus, wobei ihn - das wird aus der heutigen Perspektive besonders deutlich von Anbeginn an Reflexe im Gegenlicht faszinierten. Betrachtet man die Bilder dieserJahre heute, und das meint nichtnur die von Thomas Anschütz, so wirken sie in ihren formalen Gestaltungen und ihren radikalen Ausschnitten und Anschnittenmerkwürdig kraftlos, in ihren Abstraktionen und Reduktionen eher formal als emotional gestaltet, mit Kalkül konstruiert und sehr kopflastig. Sie verweigern sich deutlich eingeschliffenen Sehgewohnheiten und jeder journalistischen Erzählweise. In dieser Verweigerungs- und Abgrenzungshaltung waren sie stärker verwurzelt als im vitalen Leben. Nicht von ungefähr zeigen viele dieser Bilder keinen Horizont und geben kein soziales Bezugsfeld zu erkennen, sie sind menschenleer in des Wortes weitester Bedeutung und wirkten letztlich anämisch.

 

Thomas Anschütz' künstlerische Karriere brach - aus damaliger Sicht - unvermittelt ab, als er 1981 nach New York ging und sich dort bevorzugt der Malerei widmete und damit scheinbar als künstlerischer Fotograf nicht mehr existent war. Der Aufenthalt in New York dauerte acht Jahre, acht Jahre, in denen ihm im Kampf um die pure Existenz und um die künstlerische Form nichts geschenkt wurde. Gleich-wohl läßt sich die Vitalisierung seiner Malerei und dann auchseiner Fotografie, die er im Stillen weiter betrieb, nicht verkennen.

New York mit seinen rauhen und ganz unsentimentalen Anforderungen hinterließ positive Spuren, einschließlich der Impulse, die er insbesondere von einigen Künstlern des Abstrakten Expressionismus bekam: wie Mark Rothko, aber mehr noch Franz Kline und Roberl Motherwell. Siebekräftigten ihn in seinem Bemühen um bildnerische Abstraktion und im Gebrauch des reinen Schwarz und Weiß als einzigen farblichen Gestaltungsmitteln.Mit der Reduktion der Farbpaletteauf diese beiden bipolaren Farbwerte näherte sich seine Malerei im oberflächlichen Erscheinungsbild seiner Fotografie. Auf die Frage, warum er nur Schwarz und Weiß verwende, antwortete er einmal, daß Farben immer Dinge oder Erscheinungen assoziieren würden, also Grün gleich Vegetation, Blau gleich Himmel. Dagegen ließe das Schwarz-Weiß davon unabhängige Deutungen zu, so daß Interpretationen und Deutungen sich freier ändern könnten.

 

Der bildmäßigen Gestaltung mit reinem Schwarz und Weiß ist er, seit er 1990 nach Deutschland zurückehrte und in Strausberg in der Nähe Berlins lebt und arbeitet, treu geblieben, wenn man von gelegentlichen Ausbrüchen in extreme Farbigkeit absieht. Malerei und Fotografiewerden von ihm seitdem in konstruktiver Koexistenz betrieben, wobei die bildnerischen Erfahrungen in jedem der beiden Medien zwar grundverschieden bleiben, aber gleichwohl wechselseitig aufeinander wirken. Die Unterschiede liegen insbesondere in den Arbeitsprozessen. Das Malen ist bei Thomas Anschütz ein additives Verfahren, bei dem er die schnelltrocknende Acrylfarbe in diversen Schichten übereinander aufträgt. Das innere Bild befindet sich während dieses Malprozesses im Dialog mit dem auf der Leinwand entstehenden Bild. Das Fotografieren hingegen macht es unabdingbar, daß äußeres und inneres Bild im Moment der Aufnahme zusammenkommen. Das Suchen und Finden ist deshalb der Aufnahme vorgelagert. In ihrer Konkretion bewegen sich die Fotografien zwischen dem Anschein von Bekanntem und dem Verschwinden nicht mehr eindeutig konnotierbarer Figurationen. Was den Bildern als "Vorwurf" gedient hat, läßt sich noch in letzten Ansätzen erkennen, doch überwiegen bereits die Rätsel. So scharf die Fotografien in ihrer optischen Präzision sind, so unscharf sind sie in ihrem Erscheinungsbild. Die Motive wechseln vor den Augen des Betrachters unerwartet ins Komplementäre, denn was auf den ersten Blick physisch erhaben scheint, schlagt beim zweiten Blick ins Negative um. Das Vertraute wird damit schlagartig fremd.

 

Was die Gemälde und Fotografien von Thomas Anschütz gleichermaßen auszeichnet, das ist - bei aller Unterschiedlichkeit in den Materialien und ihren Texturen, in den Arbeitsprozessen, der Schärfe in den Fotografien und den Unschärfen in der Malerei, den unterschiedlichen Bildformaten und anderem - die bewußte Reduktion der Mittel. Das Abstrakte in den Gemälden wie in den Fotografien geriert sich als offene, demokratische Form, die keine bestimmte Aussage erzwingen will, sondern je nach Betachter und nach Stimmung ausgelegt werden soll und muß. Allein aus der Immanenz der Mittel kommend verbreiten die Bilder als auffälligstes Kennzeichen eins gemeinsam: Vitalität und Kraft.

 

 

 

 

 

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