THOMAS ANSCHÜTZ

Jessica Mueller

 

La Soupe de Daguerre I

Katalog Lautlose Gegenwart / Das Stilleben in der zeitgenössischen Fotografie

Staatliche Kunsthalle Baden-Baden I Bielefelder Kunstverein 1999

 

Bei näherer Betrachtung muß ein erster Eindruck oftmals revidiert werden. Für Thomas Anschütz ist diese Einstellung Ausgangspunkt seiner fotografischen Arbeit. Weil sich visuelle Wahrnehmung und kognitives Erkennen gerne in gegenseitigem Widerspruch befinden, läßt sich in den licht- und schattenreich

strukturierten S/W Fotografien von Thomas Anschütz nur schwer die Nahansicht einer Rigatoni oder saurer Gurken erblicken. Für die Bildfindung ist die reale Bedeutung des Objektes unwichtig, das der Fotograf unter Umständen auf einem Wochenmarkt oder seinem Teller gefunden hat.

 

Anschütz interessieren optische Irritationen, erzielt mit den Mitteln einer reinen unmanipulierten Fotografie. Der Bauhaus-Fotograf Walter Peterhans steht hierfür gedanklich Pate, der mahnte, "die Technik biegsam zu handhaben wie ein Netz, das unverletzt einen Fund hervorholt", um die Materialwirkung der Gegenstände zum Sprechen zu bringen. Anschütz dringt allerdings tiefer in die Materie ein, seziert sie und erreicht mittels Großaufnahme Verfremdungseffekte. Er wählt die extreme Nahsicht nicht, wie Fotografen der Neuen Sachlichkeit, um dem "Wesen" eines Gegenstandes auf die Spur zu kommen. Maßgebend ist das Vexierspiel abstrakter Formen und Körperflächen, das sich erst bei der Entwicklung der Fotoabzüge herauskristallisiert.

 

Das eigentliche Prozedere der Bildfindung spielt sich in der Dunkelkammer ab, wo Anschütz, gestützt auf seine Erfahrungen mit der Malerei, in den fotochemischen Prozeß eingreift. Vor den Augen des Betrachters vollzieht sich dieser alchimistisch anmutende Vorgang noch einmal auf einer anderen Sinnebene, wenn er bei eingehendem Studium malerisch changierender Schwarzweißnuancen auf der Bildfläche plötzlich Sardinenhaut, Hühnchenknorpel, Fleischfasern identifiziert. Die Fotografie hat das Material umgebildet. Der Eindruck von Körperlichkeit und Organischem bleibt. Ausgeblendet ist die Umgebung. Kein Schlachthof, kein Teller, keine Angelrute, kein Kochtopf verifizieren die Bildvorstellung.

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